Die Orgel der Christuskirche Bremerhaven ist mir durch Wartung und Stimmung seit langem bekannt. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass wir, mein Mitarbeiter Karl Friedrich Wieneke und ich, den Auftrag zur gründlichen Überholung und Neuintonation erhalten haben. Es ergab sich die Gelegenheit, einige störende bauliche Mängel zu beseitigen.
Als wir im Februar 2017 mit den Arbeiten anfingen, begannen wir mit der Reparatur des Hauptbalges, der sich in der alten Balgkammer hinter der Orgel befindet. Wer schon einmal in diesem Raum war, weiß, dass sich dort noch die gesamte Balganlage mit vier riesigen, kaputten Keilbälgen aus der Vorgängerorgel befindet.
Seit der Erbauung der Orgel 1967 ist in dieser Kammer ein fünfter Balg eingebaut worden, der ebenerdig unter einem der vier Keilbälge platziert wurde. Um bei den Wartungsarbeiten den Motor ölen zu können, musste man jedes Mal eine umständliche und anstrengende Kletterpartie unternehmen. Der 1967 eingebaute Balg war mittlerweile undicht geworden. Eine Reparatur des porösen Balgtuches war aus den vorher genannten Gründen jedoch so gut wie unmöglich. Nachdem wir eine komplette Beseitigung von mindestens zwei der alten Keilbälge erwogen hatten, fiel uns eine bessere Lösung ein: Der untere Keilbalg wurde mit großen Spanngurten Stück für Stück nach oben gezogen und neu befestigt. Die Reparatur des großen Schwimmerbalges und der drei Tremulanten konnte nun ohne Probleme vorgenommen werden. Der Zugang zum Orgelmotor ist seitdem ebenfalls leicht möglich. Als Nächstes wurden die Manualklaviaturen ausgebaut in die Werkstatt gebracht und gründlich überarbeitet. Dort wurden die Tastenführungen neu ausgetucht, um das zu groß gewordene seitliche Spiel der Tasten zu beseitigen. Durch die Entfernung der in der Tontraktur eingebauten Führungsrechen wurde unnötige zusätzliche Reibung beseitigt.
Das Pedalwerk hat pro Ton drei Ventile. Leider ist der Druckpunkt im Pedal dadurch so stark, dass man die einzelnen Pedaltasten, aufgrund zu großer Torsion in den Übertragungswellen, ungewöhnlich weit bewegen muss, bevor der Ton anspricht. Der Abzug der Ventile war so eingestellt, dass alle drei gleichzeitig geöffnet wurden. Eine günstigere Regulierung der Ventile war bisher nicht möglich, weil der Zugang zu den Regulierstellen am Wellenbrett versperrt war. Der Zugang zu den Regulierstellen wurde durch Öffnen eingeleimter Geh.usefüllungen eingerichtet. Die Pedalventile wurden so reguliert, dass sie sich jetzt hintereinander öffnen. Der Druckpunkt – und damit die Torsion – wurde auf ein Drittel gesenkt. Leider konnten – aus konstruktiven Gründen und wegen zusätzlicher Kosten – die Tontraktur und die Manualkoppeln (insbesondere zum Rückpositiv) mit der derzeitigen Koppelanlage im Spieltisch nicht verbessert werden.
Um besser bei Reparaturen im Spieltisch arbeiten zu können, wurden die Seitenwände des Untergehäuses herausnehmbar eingerichtet. Die beiden elektrisch arbeitenden Tremulanten für das Hauptwerk und das Brustwerk wurden repariert und neu eingestellt. Eine neue höhenverstellbare Orgelbank wurde geliefert. Die völlig desolate, irreparable Pedalklaviatur wurde durch eine gebrauchte, neuwertige Pedalklaviatur ersetzt. Im Rückpositiv wurde ein Zimbelstern mit gestimmten Schalenglocken eingebaut. Er ist durch einen Stern in der Mitte des Rückpositivgehäuses sichtbar.
In den letzten Jahren vor der Renovierung waren zwei starke Heuler im Hauptwerk aufgetreten, die provisorisch durch Anbohren der beiden Kanzellen beseitigt worden waren. Verursacht wurden diese durch gerissene Kanzellenspunde an der Unterseite der Windlade (innerhalb des Windkastens). Um die Risse beseitigen zu können, wurden die Pfeifen aus dem Brustwerk ausgebaut und die darüber liegenden Registerzugstangen für das Pedalwerk sowie die beiden Windladenbälge für das Hauptwerk ausgebaut. Es stellte sich heraus, dass unzählige weitere Risse zu sehen waren. Über sämtliche Risse wurden Lederstreifen geleimt. Die Schwellwerksmechanik wurde so verändert, dass die Schwelltüren sich nun beim Heruntertreten des Schwellpedals öffnen. Unnötige Teile wurden entfernt und die Mechanik wurde grundlegend verbessert. Ein äußerst leidiges Problem der letzten Jahre ist der Schimmelbefall in vielen Kirchen und Orgeln. Leider trifft dies auch für die Christuskirche zu.
Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, Substanzen in die Orgel einzubringen, die den Schimmel beseitigen und präventiv wirken. Vielmehr muss man die Ursachen beseitigen. Das Hauptproblem stellt zu hohe Luftfeuchtigkeit dar, die hauptsächlich durch die Atemluft der Kirchenbesucher verursacht wird. An den kältesten Stellen, wie Fenstern und leider auch im Inneren der Orgel, bildet sich dann Kondensfeuchte, die Hauptursache von Schimmel und Metallkorrosion ist: Ohne Wasser kein Schimmel und auch keine Metallkorrosion. Um einen Teil des Problems abzuwehren, wurden in das Orgelgehäuse mehrere kleine geräuscharme Lüfter eingebaut, um einen ständigen Luftaustausch mit dem Kirchenraum herzustellen. Von der Gemeinde wurden zwei Luftentfeuchter hinter der Orgel installiert, um die Luftfeuchtigkeit auf unter 60% zu halten und damit Schimmel und Metallkorrosion zu stoppen.
Das Hauptziel unserer Arbeit (neben der bei der Überholung der Orgel durchzuführenden gründlichen Entstaubung sämtlicher Orgelteile, einschließlich des Pfeifenwerkes) war die grundlegende klangliche Verbesserung der Orgel: Der Charakter der einzelnen Stimmen war seit der Erbauung der Orgel 1967 nicht wirklich herausgearbeitet worden. Das damalige Ideal war ein sogenannter neobarocker Klang. Vor allem die Prinzipale waren zu obertöing. Bei der Überholung der Orgel 1997 war man bei vielen Registern weit über das Ziel hinausgeschossen, an anderen Stellen nicht weit genug gegangen: Der Klang wurde durch zu viele Kernstiche, teilweise zu hohe Aufschnitte und durch Anlötung von Seitenbärten an vielen Pfeifen zwar grundtönig, aber undefi niert schwammig. Einige der Prospektpfeifen, insbesondere das C 8‘, hatten Probleme sauber anzusprechen. Der Winddruck wurde von 80 mm WS auf 91 mm WS im Hauptwerk heraufgesetzt, um die viel zu hohen Aufschnitte im Prinzipal 8‘ kompensieren zu können.
Die Orgel der Christuskirche besitzt ca. 3000 Pfeifen, die alle einzeln mehrfach bearbeitet werden mussten: Die 1997 angelöteten Seitenbärte und die Kernstiche wurden bei sämtlichen Pfeifen wieder entfernt. Kernstiche und Seitenbärte wirken in der Akustik der Christuskirche negativ. Fast alle Prospektpfeifen des Prinzipal 8‘ wurden am Kern auseinandergeschnitten und die Aufschnitte auf ein optimales, der Tonlänge entsprechendes, Maß herabgesetzt. Die Aufschnitte sämtlicher Innenpfeifen wurden ebenfalls kontrolliert und wo notwendig angepasst. Bei fast allen Pfeifen mit Stimmrollen mussten letztere zugelötet werden. Teilweise wurden Pfeifen angelängt, um die richtige Tonhöhe zu erreichen. Sämtliche weiteren Intonationsparameter wie Kernspalten, Kernstellung, Fußlöcher, Stellung der Labien usw. wurden ebenfalls geprüft und wo notwendig angepasst. Anschließend wurde der Winddruck im Hauptwerk auf 76 mm WS eingestellt, weil bei diesem Druck die Pfeifen am besten klingen. Die Orgel erhielt eine neue Temperierung und wurde von Werkmeister III auf Bach/Barnes eingestimmt.
Auf dem Platz des Gemshorn 2‘ im Hauptwerk wurde eine Gambe 8‘ in voller Länge eingebaut. Dieses Register ist eine enorme klangliche Bereicherung für die Orgel und ermöglicht neben der solistischen Nutzung viele neue Klangkombinationen und Farben.
Bei der Gemeinde und allen Verantwortlichen möchte ich mich für das in uns gesetzte Vertrauen herzlich bedanken. Unser Ziel war es, den Klang der Christuskirchenorgel charaktervoller, mischfähiger, grundtöniger und vokaler zu gestalten, sodass er den Gemeindegesang besser unterstützt, beim Hören im Gottesdienst und Konzert mehr Freude bereitet und die Herzen berührt. Die Praxis wird zeigen, ob uns das gelungen ist!